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  • AutorenbildNoëmi Sacher

Die Sache mit den Adjektiven

Aktualisiert: 15. Mai 2021


Daran erinnere ich mich noch, als wäre es gestern gewesen: Herr Fröhlich, unser Grundschullehrer, hängte eine Leinwand an der Wandtafel auf. Eine von diesen alten, die etwas muffig rochen und auf einen hölzernen Stab aufgerollt waren. Auf der Leinwand war die Stadt Rapperswil abgebildet und er forderte uns auf, einige Sätze dazu zu schreiben. Ich tat mich schwer mit dieser Aufgabe und überlegte lange. Schliesslich, kurz bevor die Zeit um war, brachte ich zwei Sätze aufs Papier.


Unter den weissen Kumuluswolken liegt verschlafen die Stadt Rapperswil.

Langsam zieht ein müdes Pferd einen vollen Heuwagen.




Mein Primarlehrer lobte mich für die Wortwahl und ich war sehr stolz auf mich.

Die meisten von uns haben in der Schule gelernt, die Sätze mit Adjektiven zu schmücken. Das ist auch sinnvoll, schliesslich geht es im Deutschunterricht darum, den Wortschatz zu fördern und zu vertiefen. Schreibratgeber warnen dagegen oft vor Adjektiven. Sie seien die „am meisten überschätzte und missbrauchte Wortart“, schreibt beispielsweise der deutsche Stilpapst Wolf Schneider.


Wie kommt es zu diesem Pauschalvorwurf?


Werfen wir einen zweiten Blick auf unsere Grundschulzeiten. Da gab es Adjektive und Adverbien. Wir erinnern uns: Das Adjektiv beantwortet die Frage Wie ist das Substantiv? Das Adverb Wie ist das Verb? So haben wir das gelernt. Auch wenn im Folgenden nur von Adjektiven die Rede ist, behalten wir im Hinterkopf, dass sich die einen auf die Verben und die anderen auf die Substantive beziehen. Dabei sollen beide Wortarten per Definition nicht reiner Schmuck sein. Sie sollen einen Substantiv bzw. ein Verb näher beschreiben – ihm eine zusätzliche Färbung verleihen. Und da stossen wir bereits mitten in den wunden Punkt:


Allzu oft verwenden wir Adjektive, die genau das nicht tun.


Betrachten wir dazu meinen ersten Schülersatz und schauen uns das Bild im Beitrag an. Was fällt als erstes auf? Genau. Die klassische Kumuluswolke ist – weiss. Das Adjektiv ist also nicht eine nähere Beschreibung, sondern sagt genau das aus, was schon im Substantiv enthalten ist. Es ist ein Pleonasmus. Wir könnten hier auch den vielzitierten weissen Schimmel bemühen oder den nassen Regen und daraus die erste Regel ableiten, die es im Zusammenhang mit Adjektiven zu beachten gilt.


Vermeide Pleonasmen.


Das erscheint dir offensichtlich? Ist es auch. Leider gibt es aber auch versteckte Wiederholungen, die weniger leicht aufzuspüren sind. Dazu ein Beispiel, das mir neulich in der Rohfassung zu einer Geschichte begegnet ist.

Sie sprang mit einem Satz über die hüfthohe Mauer, rannte die Strasse hinunter und kletterte dann, mit ruhigem Atem, die Hausmauer hinauf. … Dann öffnete sie das Gatter einen Spalt breit und quetschte ihren durchtrainierten Körper hindurch.

Ich behaupte: Niemand hat sich nach dem ersten Satz eine dickliche, unsportliche Protagonistin vorgestellt. Dass sie durchtrainiert ist, muss also nicht eigens erwähnt werden. Weil zwischen dem ersten und dem zweiten Satz ein weiterer Abschnitt lag, war dieser Pleonasmus aber für die Autorin nicht offensichtlich.


Wiederholungen gilt es insbesondere da zu vermeiden, wo mehrere Adjektive aufeinandertreffen. In meinem zweiten Schülersatz zielen alle Adjektive auf ein und dasselbe ab: Langsam, müde und voll bezeichnen die Erschöpfung des Pferdes ob der schweren Last. An Stelle von drei nichtssagenden Merkmalen wäre es besser gewesen, nach einem einzigen, aussagekräftigen zu suchen.

Schweissbedeckt zieht das Pferd den Heuwagen.

Bei diesem einen Merkmal entsteht ein Bild vor meinen Augen. Der feuchte Schweiss spricht meine Sinne in mehrfacher Hinsicht an. Ich sehe den nassen Hals des Pferdes und rieche seine warme Ausdünstung. Ich stelle mir vor, wie sich das verklebte Fell anfühlt. All das drückt die Erschöpfung des Pferdes plastischer aus, als die schnöden Worte langsam und müde.


Anstatt ein Merkmal mit Hilfe von mehreren „schwachen“ Adjektiven zu variieren, verwende lieber eines, das für deine Textstelle massgeschneidert ist.


Durch die gestrichenen und das ersetzte Adjektiv verändert sich in meinem Beispiel die Satzmelodie. Das ist einer der Gründe, weswegen ich mich bisweilen schwer tue, mich von Adjektiven zu trennen. Oft bleibt nichts anderes übrig, als den Satz umzustellen.


Wir haben uns bisher mit Pleonasmen und Wiederholungen beschäftigt. In diese Kategorie gehört im weitesten Sinne auch das Klischee. Damit bezeichne ich hier Attribute, die für das Substantiv so charakteristisch sind, dass sie nicht eigens erwähnt werden müssen. Das gilt für das fröhliche Lachen, für schwere Bildbände, grüne Wiesen und glitzernde Juwelen genauso wie für kleine Babies. Erst wenn das Lachen traurig, die Bildbände dünn, die Wiesen verdorrt, die Juwelen stumpf und die Babies gross sind, erst dann verdienen sie ein Adjektiv.


Nur das Ungewöhnliche braucht ein Adjektiv. Der Normalfall kann für sich stehen.


Dazu noch ein Beispiel aus der Praxis.

Die ersten hundert Meter sprang der Hund bellend neben dem Rad her, um dann in einen gleichmäßigen Trab zu verfallen.


Ein Trab ist meistens gleichmässig und bräuchte nur dann präzisiert zu werden, wenn er unstet oder hinkend wäre. Trotzdem empfinde ich persönlich den Teilsatz ohne das Adjektiv als zu kurz. Was also tun?

In so einem Fall empfiehlt es sich, den Kontext noch einmal genauer anzuschauen. Anstatt das Adjektiv wegzulassen oder zu ersetzen könnte es sich lohnen, genauer zu überlegen, was der Hund eigentlich tut. Läuft er wirklich so zielstrebig? Bleibt er vielleicht schnüffelnd stehen, um dann wieder vorauszulaufen? Dank genaueren Überlegungen zum Kontext wird so manches Adjektiv überflüssig und entlarvt sich als Ausrede, um nicht nach einer präziseren Formulierung suchen zu müssen.


Wer also Pleonasmen und Wiederholungen vermeidet, nichtssagende Adjektive durch treffende ersetzt und nur das Aussergewöhnliche hervorhebt, hat schon 90% der problematischen Adjektive vermieden. Ob eine Stadt wirklich verschlafen sein kann, darüber müssen wir uns ein andermal unterhalten – wenn es um Personifikationen und andere Stilmittel geht.


Übung:

Nimm einen aktuellen Text von dir und markiere alle Adjektive. Streiche die überflüssigen und stelle sicher, dass die restlichen treffend formuliert und in den Kontext eingebettet sind.



Literatur:

Waldscheidt, Stephan: Adjektive. Gut oder böse? Kleiner Stilratgeber für Autoren. Kindle E-Book.

Schneider, Wolf: Deutsch für Profis. Wege zum guten Stil. Goldmann, 1999.



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