Wenn ich dich in genau diesem Moment fragen würde, was eigentlich dein Ziel ist – könntest du mir eine Antwort geben?
Ich vermute, du würdest eher zurückfragen. Etwa: Das Ziel meines ganzen Lebens? Oder das Ziel für heute? Und was meinst du überhaupt mit Ziel!?
Die letzte ist eine interessante Frage. Ist die ToDo-Liste abarbeiten ein Ziel? Oder ist das einfach Arbeit? Sind Arbeit und Ziel identisch und was machen wir eigentlich überhaupt so den ganzen Tag? Und warum?
Nun. In einem früheren Blogpost haben wir uns darauf geeinigt (oder ich habe es euch nahegelegt), dass eure Figur ein Ziel braucht. Wenn wir aber nun schon in Bezug auf uns selbst unsicher sind, was überhaupt für uns – als Ganzes und für diesen Tag – ein angemessenes Ziel wäre, dann macht es das nicht unbedingt einfacher, für unsere Figur ein solches zu finden.
Warum arbeitet deine Figur ihre ToDo-Liste ab? Und warum tust du das (falls du zu den glücklichen Menschen gehörst, denen das auch tatsächlich gelingt)? Ist es, damit du ruhig schlafen kannst? Damit du deinen Lohn bekommst? Damit du deine Oma (Gott hab sie selig) glücklich machst?
Das führt mich zu der Vermutung, dass nicht das Ziel das eigentlich Spannende ist, sondern der Grund, warum du ein bestimmtes Ziel verfolgst. Und das Spannende daran wird deutlich, wenn wir hier den Sprung von deinen Gründen zu denen deiner Figuren wagen.
Was die ToDo-Liste über deine Figuren verrät
Nehmen wir Robert Lindgren, 35 Jahre alt, ledig, Buchhalter. Wir sehen ihn an seinem Schreibtisch sitzen und seine ToDo-Liste abarbeiten. Darauf stehen Dinge wie:
· die Krankenkasse wegen falscher Abrechnung anrufen
· mich bei Lisa für das Geschenk bedanken
· Schreibtisch aufräumen
Als erstes müssten wir natürlich wissen (bzw. bestimmen), wie lange Robert diese Aufgaben schon vor sich herschiebt, denn das ist schon ein erster Hinweis auf seine Gründe. Wenn diese Liste schon seit zwei Monaten an seinem Bildschirm klebt, ist das ein ganz anderer Fall, als wenn die Liste von heute ist.
Nehmen wir etwas dazwischen und sagen: Die Liste ist zwei Wochen alt. Das könnte heißen, Robert kümmert sich vor Ablauf der 30 Tage-Frist um seine Abrechnung (naheliegend, Zahlen sind sein Metier). Aber warum bedankt er sich erst jetzt bei Lisa? Und dann müssten wir natürlich wissen (bzw. entscheiden), wie unordentlich sein Schreibtisch gerade ist. Stapeln sich da die Papierberge oder muss er nur einen Bleistift in den Ständer zurückstellen? Fragen über Fragen.
Und bei all diesen Teilaspekten wissen wir noch nichts darüber, warum Robert überhaupt diese Dinge erledigen will. Beim Geld geht es ihm vielleicht ums Prinzip, quasi berufsbedingt. Aber warum ist er überhaupt Buchhalter geworden? Welche natürliche Veranlagung oder welches prägende Erlebnis hat ihn dazu gebracht? Und Lisa? (Wer zum Teufel ist Lisa?) Das klingt verdächtig nach einer Pflichtübung. Hat ihm das Geschenk überhaupt gefallen? Und warum glaubt er, dass er den Schreibtisch aufräumen muss? Ich meine, soweit wir wissen, wohnt er allein. Kommt morgen seine Putzfrau (hui, der leistet sich was!) oder dreht sich seine Oma (Gott hab sie selig) im Grab um, wenn der Schreibtisch nicht ordentlich ist?
Der Grund ist das Ziel
Das wichtige am Ziel ist also nicht so sehr das Ziel selbst, sondern der Grund, warum deine Figur dieses Ziel hat (oder warum du es hast). Die eigentliche Frage ist, welches Bedürfnis will Robert mit jeder einzelnen Handlung befriedigen? Welches Gefühl will er wieder erleben? Und was will er haben? Kurz: Was hat er in seiner Vergangenheit erlebt, das ihn dazu bringt, all das zu tun, was er tut?
Ich weiss nicht, wie es dir damit geht. Aber ich werde jedenfalls in Zukunft mit gesteigertem Interesse beobachten, was ich eigentlich tue und warum ich es tun will. Dann habe ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Ich lerne, mich selber besser zu verstehen, und ich habe einen breiten Fundus an Gründen und Zielen, mit denen ich meine Figuren ausstatten kann. Win-win.
Комментарии