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  • AutorenbildNoëmi Sacher

Dialog ist mehr als Worte

Aktualisiert: 11. Mai 2021

Stellen wir uns folgende Situation vor: Ein Ehepaar sitzt nach einem arbeitsreichen Tag am Tisch, die Teller sind bereits leer gegessen und beide freuen sich auf einen entspannten Abend – allerdings ist da noch der Abwasch zu erledigen.

Nehmen wir an sie sagt: «Jetzt ein Glas Wein und ein gutes Buch!»


Um zu analysieren, was sie mit diesem Satz alles ausdrückt, müssen wir uns klarmachen, wie Kommunikation funktioniert.

Die Frau, nennen wir sie Sarah, sagt ja nicht nur die Worte allein. Der Satz wird von einer ganzen Palette an Faktoren begleitet, darunter:

  • Mimik und Gestik

  • Tonfall

  • Stimmung

  • Vorwissen / Beziehung

  • Absicht

Als AutorInnen können wir nun jeden dieser Faktoren beliebig modulieren, um genau zu steuern, wie Sarah kommuniziert. Das meiste hängt dabei von ihrem Charakter ab – und einiges von ihrer momentanen Stimmung.


Beispiel 1: Sarah, die Konfliktscheue

Nehmen wir an, Sarah scheut offene Konflikte. Sie möchte gerne, dass der Abend so harmonisch wie möglich verläuft, allerdings hat sie das Essen gekocht und erwartet von ihrem Mann, dass er den Abwasch übernimmt. Sie weiss aber auch (oder glaubt zu wissen), dass ihr Mann, nennen wir ihn Alain, nicht von sich aus auf die Idee kommt, das Aufräumen zu übernehmen. Nun rechnet sie sich folgendes aus: Wenn sie signalisiert, wie müde sie ist, wird Alain merken, dass es an ihm ist, die Küchenarbeit zu übernehmen.

Sie streckt sich ausgiebig, gähnt und sagt dann mit halb geschlossenen Augen ihren Satz in der Hoffnung, dass Alain versteht: Der Abwasch ist heute deine Sache, ich bin total müde und ausserdem habe ich gekocht.


Allerdings ist sie dabei innerlich angespannt. In der Vergangenheit ist es oft vorgekommen, dass Alain auf ihre nonverbale Kommunikation nicht reagiert hat. Meistens war es so, dass am Ende sie den Abwasch gemacht hat – immer mit dem Gefühl, dass Alain seine Bedürfnisse über ihre stellt und sie im Leben zu kurz kommt. Nehmen wir weiter an, dass heute der Abend ist, der das Fass zum Überlaufen bringt. In diesem Fall sähe der Dialog vielleicht so aus:

Sarah streckt sich und gähnt:


«Jetzt ein Glas Wein und ein gutes Buch!» Alain nickt. «Ich hole schon mal den Roten aus dem Keller.» Sie schiebt den Stuhl polternd zurück. «Den Abwasch soll also mal wieder ich machen!»


Beispiel 2: Sarah, die Offensive

Gleiches Szenario, allerdings ist Sarah diesmal alles andere als konfliktscheu. Sie findet, dass offene Kommunikation das einzig Wahre im Leben ist. Sarah meint mit ihrem Satz zwar genau das Gleiche, wie im oberen Beispiel, aber das Paar hat den möglichen Konflikt schon früher ausgeräumt. Es gilt die Regel: Wer kocht muss nicht aufräumen.

Dass er abwaschen muss, weiss Alain also schon, seit Sarah gekocht hat. Vielleicht hat er keine Lust dazu, aber er kennt Sarah gut genug um zu wissen, dass sie auf der Regel besteht. In diesem Fall sähe der Dialog vielleicht so aus:


Sarah streckt sich und gähnt: «Jetzt ein Glas Wein und ein gutes Buch!» Alain schiebt missmutig den Stuhl zurück: «Das nächste Mal koche ich.»


Ausgelöst durch Sarahs Charaktereigenschaften ist die Beziehung zwischen den beiden sehr unterschiedlich. Einmal versucht Sarah erfolglos, Alain in die gewünschte Richtung zu beeinflussen, einmal ist eine Beziehung überhaupt nur unter der Bedingung möglich, dass Alain sich an die vereinbarten Regeln hält. Die Art der Beziehung beeinflusst die Stimmung von Sarah und die wiederum die Weise, wie Alain Sarahs Code aus Tonfall, Gestik und Worten decodiert.

Kommunikation ist weit mehr als nur Worte. Das wird spätestens dann klar, wenn wir uns vor Augen führen, wie viel Überlegungen zu Sarahs Charakter und Gemütszustand nötig waren, um zwei oder vier Dialogzeilen zu schreiben. Und es zeigt auch: Im Dialog geht es nicht immer um das Gesagte. Dialoge werden nicht lebendig, indem wir uns über Wortstellung und Stil Gedanken machen. Dialoge werden dann lebendig, wenn sie die Beziehungen der Figuren untereinander widerspiegeln. – Genau so, wie auch die Kommunikation im richtigen Leben Aufschluss über die Art unserer Beziehungen gibt.


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