Die Luft draußen ist feucht und schwer. Schon seit zwei Monaten. Feucht und schwer und klamm. Es regnet fast ohne Unterbruch und in den Häusern ist es dunkel wie im Winter.
Ich kenne niemanden, dem das Wetter diesen Sommer nichts aufs Gemüt schlägt. Ein Sommer, in dem man sich über jeden Sonnenstrahl freut. Was für ein Sommer soll das sein? Wozu ist so was gut?
Ich habe Glück. Ich schreibe an einer neuen Geschichte und immer, wenn der Regen meine Stimmung niederzudrücken droht, dann denke ich daran, wie es meinen Figuren ergangen ist. Damals, vor 200 Jahren.
Damals hat es auch geregnet. Viel. Schon das zweite Jahr in Folge. Das Tal hatte sich erst von kriegerischen Auseinandersetzungen und Plünderungen erholt. Reich war, wer genug zu essen hatte.
In unserem Garten sind dieses Jahr nur die Kefen und die Ringelblumen gediehen. Die Kohlrabi, die Bohnen, der Salat, sogar die Kartoffeln haben die Schnecken gefressen. Der Boden ist so durchnässt, dass an eine neue Aussaat nicht zu denken ist. Der Kürbis, der in der Sicherheit des Balkons aufgewachsen ist, trägt nur eine einzige Frucht. Die anderen Blüten sind verfault – oder gar nicht erst befruchtet worden, weil die Insekten kaum fliegen.
So muss es vor zweihundert Jahren auch gewesen sein. Nur dass die Menschen damals nicht einfach im Supermarkt einkaufen konnten, was fehlte. Manchmal, wenn ich tief in die Geschichte eintauche, lerne ich, den Regen zu fürchten. Ich sehe Viehweiden, die nur noch aus Matschlöchern bestehen. Die Schafe sinken tief ein, im kotdurchsetzten Schlamm, und ich fürchte mich vor Klauenfäule und Durchfall. Ich sehe Gras, das nicht gemäht werden kann, weil es niemals trocken ist, und weiß, dass ich im Winter nicht genug Futter haben werde. Im Geist überlege ich, von welchem meiner Tiere ich mich als erstes trennen werde und wie lange mich sein Fleisch satt machen wird. Am Garten, wo jetzt das Gemüse dicht an dicht stehen sollte, traue ich mich schon fast nicht mehr vorbeizugehen. Ich sollte jetzt Bohnen ablesen und sie auf dem vor Trockenheit knackenden Holz des Dachbodens zum Dörren auslegen. Aber von den Bohnenpflanzen sind nur kümmerliche Stirzel übrig und obwohl die Himbeerranken in üppigem Grün danebenstehen, platzen die durchweichten Beeren auf, bevor sie reif sind, und fallen vom Fruchttrieb ab. Die wenigen, die trotzdem hängen geblieben sind, schlägt der Hagel zu Boden. Ich fürchte den Regen auch darum, weil er wie aus Kübeln gegossen aus dem Himmel fällt. Das Dach, das all die Jahre Sturm und Schnee standgehalten hat, ist gestern undicht geworden, und neulich schlug der Gewittersturm das Fenster auf und es regnete in die Stube bis nach hinten an die Bank.
Zu allem Unglück ist es ein Mückenjahr, damals wie heute. Aber damals gab es keine Fliegengitter. Ich sehe, wie ich abends die Stiche zähle, wie ich vielleicht auf die, die am stärksten jucken einen Tropfen heißen Wachs fallen lasse. Wie ich befürchte, dass ich vor lauter Gesumme nicht schlafen kann.
Aber es gibt auch Hoffnung. Neulich ist mir ein Buch in die Hände geraten: Essbare Wildpflanzen. Was heute hip ist, war damals Alltag. Ich blättere darin und nehme mir vor, ab September Löwenzahnwurzeln auszugraben und sie als Gemüse zu kochen. Auch trocknen kann man sie und als Kaffeeersatz verwenden – aber ich glaube nicht, dass meine Figuren jemals einen Gedanken an Kaffee verschwendet haben. Vielleicht werde ich im Wald am Rotsee Hainsalat suchen und seine Wurzeln in die nächste Suppe schneiden, in den Böschungen habe ich neulich wilde Pastinaken entdeckt, und im Garten sind bald die Hagebutten reif.
Irgendetwas gedeiht immer, auch das lerne ich in diesem Sommer. – Und der Regen lässt meine Geschichte gedeihen, weil ich als Autorin alles zu meinen Gunsten nutzen kann. Wenn nicht jetzt gleich, dann als Notizen für später.
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